Die innovativen Unternehmen definieren Qualifizierung ihrer Mitarbeiter als Teil der Wertschöpfung; es werden je nach Geschäftsbereich zwei bis sechs Wochen Weiterbildung des Mitarbeiters pro Jahr vorgegeben. Dennoch schicken viele Unternehmen ihre Mitarbeiter trotz konkreter Vorgaben oft nicht gerne auf Seminare. „Es sind weniger die Hotel- und Reisekosten, die eine Rolle spielen, als das Fehlen des Mitarbeiters am Arbeitsplatz“, gab anlässlich einer Diskussionsrunde im Herbst 2000 beim sechsten IT-Trainingskongress in Bonn auch ein Manager von Hewlett-Packard zu[i].
Es ist nahe liegend, dass mit den neuen IuK-Möglichkeiten auch neue Wege gesucht werden, wie sich der Mitarbeiter ohne wochenlange Abwesenheit weiterbilden kann. Mitarbeiter sollen darüber hinaus die Möglichkeit haben, sich gemeinsam fortzubilden, und zwar auch dann, wenn sie an verschiedenen Orten an gemeinsamen Projekten arbeiten.
Hoffnungen und Erwartungen werden derzeit auf E-Learning gesetzt, ermöglicht es doch einen Lernprozess sowohl einzeln als auch im Team, ohne dass der (Projekt-)Mitarbeiter seinen Arbeitstisch verlässt. Nach IDC-Berechnungen soll sich der Markt für E-Learning in Westeuropa von jetzt 320 Millionen US$ auf 3,9 Milliarden US$ im Jahr 2004 ausweiten.
Die multimedialen Computer Based Training (CBT)-Anwendungen, die wir seit Jahren kennen, wurden für Einzelteilnehmer konzipiert: Der Student startete das Programm und klickte sich nach seinem persönlichen Tempo durch die einzelnen Lektionen, wobei er auf gestellte Fragen antwortete und mehr oder weniger Feedback durch die Software erhielt. Dies konnte er, so oft er wollte, zu beliebiger Zeit wiederholen.
Mit der neuen E-Learning-Software ist nun auch die Schulung in einem virtuellen Internet-Seminarraum möglich. Hier treffen sich die Teilnehmer wie in einem Präsenzseminar zu einer vereinbarten Zeit und zu einem vereinbarten Lehrstoff. Moderiert und präsentiert durch einen Telecoach erarbeiten sie sich das Thema und lernen nicht nur aus den Unterlagen, sondern auch aus den Fragen und Beiträgen der anderen Teilnehmer, ohne dabei ihren realen Schreibtisch im Unternehmen zu verlassen.
In den nächsten Abschnitten wird die Funktionalität der E-Learning-Software an einigen Beispielen erläutert.
Sowohl Praktiker als auch Spezialisten suchen allerdings derzeit noch nach praktikablen Methoden und Konzepten, wie man die Mitarbeiter zum effektiven E-Learning motivieren kann: Sie sind sich einig, dass E-Learning nicht die Präsenzseminare und das CBT ersetzen, sondern lediglich ergänzen kann; speziell für E-Learning ausgebildete Telecoachs sollen die Teilnehmer „live“ unterstützen.
Die E-Learning-Software hat das Studierzimmer des CBT-Lernenden verlassen und spricht ein Team an. E-Learning-Anwendungen versuchen mit ihrer Funktionalität einen Seminarraum nachzubilden mit allen dort verwendeten interaktiven Komponenten:
· durch einen Moderator (Lehrer, Vortragenden) präsentierten Stoff anschauen und anhören,
· sich zu Wort melden und Fragen stellen,
· nebenbei mit dem Nachbarn flüsternd Kommentare austauschen (das „E-Flüstern“ heißt Chatten),
· auf direkte Fragen des Moderators mit „ja“ oder „nein“ antworten,
· auf Sach- und Wissensfragen oder Umfragen seine Meinung abgeben (per Multiple Choice),
· an einem Beispiel aktiv mitarbeiten,
· jederzeit schauen, was die anderen meinen und machen.
Je nachdem, wie viele Teilnehmer die IT-Infrastruktur und die Bandbreite verkraftet, heißt dann die Lösung auch E-Symposium, E-Conference oder E-Meeting; die Teilnehmer treffen sich in virtuellen Seminar- oder Konferenzräumen.
Einen virtuellen Konferenzraum kann sich ein Unternehmen mit dem Softwareangebot selbst erstellen, oder für einzelne Besprechungen diesen bei einem ASP von E-Learning-Lösungen anmieten (siehe Tabelle 9). Für ein Projekt ist eine ASP-Lösung eine wirtschaftlich und funktionell interessante Alternative.
Zu Standards scheint in den meisten Anwendungen die Funktionalität zu gehören, die hilft, eine reale Besprechung nachzubilden. In den meisten derzeit auf dem Markt angebotenen Lösungen finden wir folgende Elemente:
· Anmelden und Abmelden des Teilnehmers im virtuellen Seminarraum;
· Live Sprache: Sprechen für alle Teilnehmer hörbar über IP, das heißt, über ein PC-Mikrofon oder einen am PC angeschlossenen Head-Set, einzeln moderiert oder frei alle mit allen;
· Overhead-Projektor: für „Folien“-Präsentationen Powerpoint- oder andere Präsentationen anzeigen;
· Videoprojektor: für Anzeigen von Videosequenzen/-filmen (konsumiert ganz schön die Bandbreite);
· Melden/Hand heben: ein für alle sichtbares Zeichen geben als Wortmeldung;
· mit „ja“ oder „nein“ auf direkte Fragen antworten (beispielsweise auf die Frage: „Verstehen Sie mich alle?“);
· seine Meinung oder sein Wissen mit Multiple-Choice-Antworten kundgeben;
· White Board: eine Tafel zum Freihand-Zeichnen (erfordert allerdings einige Übung);
· Application Sharing: gemeinsames Arbeiten an einer Anwendung;
· Application Showing: der Moderator zeigt allen eine Anwendung, aber nur er alleine kann daran arbeiten;
· Chatt, oder auch Live Text: paralleler Austausch von Textkommentaren unter den Teilnehmern oder von Teilnehmer und Moderator;
· gemeinsames Browsen im Internet an den vom Moderator empfohlenen Links;
· zusätzliche Moderations- und Interaktions-Funktionen: Anmelden, Wort erteilen, Frage stellen, Antworten statistisch auswerten, Feed-Back an den Vortragenden („langsamer“, „schneller“) u. a.
Die Hersteller und Anbieter von E-Learning-Software haben noch keine einheitliche Sprache gefunden. Es ist deshalb nicht einfach, ihre Angebote zu verstehen und zu vergleichen. Im nächsten Abschnitt sind einige zur Zeit der Entstehung dieses Buchs aktuelle Beispiele aufgeführt[ii].
Link |
Informations-Quellen |
Letzter Zugriff |
Forschungsprojekt „Modernisieren lernen mit neuen Medien“ Forschungsinstitut für Öffentliche Verwaltung der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer Produkte & Anwendungen: Computer Based Training (CBT) |
09.01.01 |
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http://www.global-learning.de/g-learn/cgi-bin/gl_userpage.cgi?StructuredContent=ml0801 |
Glossar: Fachausdrücke des Telelernens und relevante Internetbegriffe |
09.01.01 |
Internet Time group: „the eLearning jump page“, ein Portal zu allen Themen von E-Learning |
09.01.01 |
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Hersteller/Anbieter |
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Centra: Hersteller von E-Learning, E-Conferencing-Software |
09.01.01 |
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Intervise: Hersteller von E-Learning-Software |
09.01.01 |
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Lotus: LerningSpace, E-Learning-Lösung |
09.01.01 |
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Mentgery: Hersteller von LearnLinc, E-Learning Tools |
09.01.01 |
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Microsoft NetMeeting: kostenloses Download |
09.01.01 |
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Netucate: Vertreter von LearnLinc in Deutschland; ASP für E-Learning, E-Conferencing |
09.01.01 |
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Saba: Anbieter von „Business-to-Business Learning Networks“ |
09.01.01 |
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Vcademy: Vertreter von Centra; Anbieter (ASP) von virtuellen Seminarräumen; E-Learning, E-Conferening: www.vcademy.de – Zugang für registrierte Teilnehmer |
09.01.01 |
Tabelle 9: Informationsquellen, Hersteller und Anbieter von virtuellen Seminar- und Besprechungsräumen
In den aufgeführten Beispielen zeigen wir Screenshots der zwei E-Learning-Software-Anbieter: Centra und Mentergy. Sie sollen dem Leser lediglich einen ersten Eindruck vermitteln, für mehr Information ist auf jeden Fall empfehlenswert, die aktuellen Demos der Hersteller und Anbieter (siehe Tabelle 9) zu Rate zu ziehen.
Die Daten und Dokumentation GmbH bietet über ihre Web-Site beispielsweise kostenlose Teilnahmen an E-Seminaren zu aktuellen Themen. Um einen Eindruck über die Möglichkeiten von E-Conferencing zu gewinnen, ist eine solche Probeteilnahme auf jeden Fall zu empfehlen. Und vielleicht sind sogar die Inhalte für den Teilnehmer auch gerade interessant; sie werden von Spezialisten zu aktuellen Themen geboten: wie Knowledge Management, E-Learning, Windows-Weiterentwicklung u. a. Ein am PC angeschlossenes Mikrofon, ein Kopfhörer und eine 56-KB-Modem- oder eine ISDN-Anbindung an das Internet sind die Eintrittskarte.
Abbildung 58 zeigt einen virtuellen Seminarraum (Centra-Software) aus der Sicht des Moderators. Der Moderator sieht jederzeit die Liste der im Seminarraum angemeldeten Teilnehmer, deren Wortmeldungen (NHand heben) sowie deren Antworten (þ ja oder ý nein). Die Folien, die er aus der Agenda präsentiert, kommentiert er für alle hörbar. Die Teilnehmer können sich zu Wort melden und über ihre Mikrofone Fragen stellen. Der einzelne Teilnehmer lernt so nicht nur vom Vortrag des Moderators, sondern auch aus den Fragen der anderen.
Der Moderator dieses Beispiels wäre allerdings gut beraten, wenn er nicht nur seine Agenda im Blick behält, sondern auch das Chat-Fenster öffnen würde. Denn so kann ihm passieren – wie in der Schule – dass die Teilnehmer an ihm „vorbeichatten“.
Abbildung 59 zeigt ein anderes Seminar aus der Sicht eines Teilnehmers.
Abbildung 58: Moderator-Sicht einer virtuellen Besprechung mit Centra/Vcademy-Software[iii]
Abbildung 59: Teilnehmer-Sicht einer virtuellen Besprechung mit Centra/Vcademy-Software
Abbildung 60 zeigt ein Beispiel für gemeinsame Anwendung (hier Microsoft Excel Tabellenkalkulation). Alle Teilnehmer sehen die gleiche Datentabelle und alle die von jemand anderem vorgenommenen Änderungen. Anstelle der Datentabelle könnte auf diese Weise jedes andere Projektdokument besprochen werden.
Abbildung 60: Application Sharing mit Centra/Vcademy
Abbildung 61: Multiple-Choice-Fragen an die Teilnehmer (Centra/Vcademy)
Sowohl in Seminaren als auch in Projektbesprechungen ist es immer wieder sinnvoll, eine Umfrage unter den Teilnehmern zu machen. Dies kann durch eine direkte Frage geschehen, die mit ja/nein beantwortet wird. In diesem Fall sehen alle Teilnehmer neben der Liste der Teilnehmer auch deren Antworten þ ja oder ý nein sowie einen Gesamtüberblick (wie bei einer Abstimmung). Abbildung 61 zeigt eine andere Möglichkeit, Wissen oder Meinungen unter den Teilnehmern abzufragen: per Multiple-Choice-Fragen. Auch hierbei wird gleichzeitig für jedermann sichtbar die Antwort-Statistik erstellt.
Auf eine Videoanzeige des Moderators oder der Teilnehmer wurde in der derzeitigen Version von Centra mit der Begründung verzichtet, dass die meisten Teilnehmer nicht über entsprechende Bandbreiten verfügen würden, die ohne Qualitätseinbußen Daten/Sprache und Bild übertragen lässt. Eine der nächsten Versionen soll aber bereits auch über eine Videokamera-Funktion verfügen.
Abbildung 62: Beispiel mit LearnLinc Software (netucate)
In Abbildung 62 ist ein Beispiel einer recht intensiven virtuellen Besprechung mit Hilfe der LearnLinc Software. Auf dem Bildschirm sehen wir – wie in einem Seminarraum am Ende des Tages – alles was man so im Laufe der Besprechung verwendet hat:
Links im Bild ist die Liste der Teilnehmer, oben im Videofenster jeweils derjenige aus der Gruppe, der das Wort hat.
Nicht von ungefähr hat bei dieser Besprechung das Wort Herr Schweizer, Chef von netucate, der uns freundlicherweise auch dieses Bild zur Verfügung stellte.
Das Tempo der Präsentation „Medien“ können die Teilnehmer durch die Abstimmungsfunktion „schneller/langsamer“ mitgestalten. Unten links ist das Chat-Fenster zu sehen, in dem sich die Teilnehmer parallel zur Präsentation unterhalten.
Rechts im Bild ist ein vorbereiteter Fragekatalog zu sehen, mit dem die Meinung oder, in diesem Fall, das Wissen der Teilnehmer abgefragt werden kann.
Wie wir am Beispiel in Abbildung 62 sehen können, wissen bereits drei von vier Teilnehmern, also 75 %, dass ein Teilnehmer eines virtuellen Seminars sich durch virtuelles Handheben zu Wort melden kann.
Wie auch immer die E-Learning/E-Conferencing-Anwendungen der verschiedenen Hersteller heißen, „Symposium“, „Virtueller Seminarraum“ o. a., der Leser wird sich vorstellen können, dass sich diese Anwendungen sehr gut auch für Besprechungen in virtuellen Projektteams eignen.
Beide oben genannten Beispielanwendungen können auch als „Virtueller Seminarraum“ über Application Service Provider (ASP) von Seminarveranstaltern oder eben Projektteams gemietet werden. Es existieren unterschiedliche Geschäftsmodelle mit einer recht dynamischen Preisgestaltung (wie eben alles dynamisch ist im New Economy-Markt), die bei den Anbietern jeweils aktuell nachzufragen sind. Um dem Leser einen Eindruck zu vermitteln, ist nachfolgend ein Beispiel aufgeführt (die Preise wurden einem ASP-Angebot Ende 2000 entnommen und können sich natürlich bis zum Erscheinen des Buchs bereits geändert haben):
Preisgestaltung Virtueller Seminarraum
Seminarräume zum Mieten :
Monatliche Grundgebühr 600,00 DM pro Monat
Nutzungsstunde 22,00 DM/h
ab 100 h pro Monat 17,00 DM/h
ab 300 h pro Monat 14,00 DM/h
ab 500 h pro Monat 10,00 DM/h
Einrichten einer Veranstaltung mit Versenden der Login-Kennungen 50,00 DM pro Veranstaltung
Die Abrechung erfolgt monatlich (detailliert pro Veranstaltung)
Leistungen des ASP:
· Ein Raum steht für einen benannten Teilnehmer/Referenten kontinuierlich zur Verfügung
· Einspielen der Agenda/s pro Veranstaltung
· Versenden der Teilnehmerkennungen und Passworte an die Teilnehmer oder Veranstalter
· Der Veranstaltungsraum ist am Tage der Veranstaltung von 8:00 Uhr bis 21:00 Uhr geöffnet (oder nach Absprache)
· Die Abrechnung erfolgt nach Nutzungsstunden (min. 70 % der angemeldeten Nutzungsstunden)
· Nach einer Veranstaltung werden die Benutzer wieder gelöscht, die Agenda kann auf Wunsch des Kunden im Seminarraum bleiben
Zusätzliche Leistungen:
Weitere permanente Seminarräume 300,00 DM pro Monat pro Raum
Zusätzliche permanente Benutzer 40,00 DM pro Monat pro Benutzer
ab 20 Benutzer 35,00 DM pro Monat pro Benutzer
Schulung eines oder mehrerer Referenten vor Ort: 1.500,00 DM
[i] Über die Diskussion der IT-Trainingsanbieter beim 6. IT-Trainingskongress in Bonn im Herbst 2000 berichtete z. B. die Computerwoche in Ausgabe Nr. 47/2000, Seite 107 und Nr. 50/2000, Seite 9.
[ii] Das Angebot mit E-Learning/E-Conferencing-Lösungen entwickelt sich mit rasender Geschwindigkeit. Die Autoren habe alle angegebenen Links zu Herstellern und Anbietern sowie aufgeführten Beispiele am Tag vor der Abgabe des Textes verifiziert, möglicherweise werden sie am Tag des Erscheinens des Buchs nicht mehr aktuell sein.
[iii] Die Abbildungen der E-Learning/E-Conferencing Software von Centra hat uns freundlicherweise D+D/Vcademy, die Abbildung der LearnLinc-Software netucate zur Verfügung gestellt.